Husten
M : Kannst Du selber essen oder soll ich Dich füttern?
O : Füttern. Bitte.
Meme schiebt Oma eine Gabel mit Kuchen in den Mund.
O : (mit vollem Mund) Mal watt zu essen.
M : Bist Du schon ganz verhungert?
O : Ach ick weeß nich … ick kann mich ja … ooch wieder auskotzen … aber jetzt is allet jut.
M : (Reicht ihr eine Kotztüte) Da kannst Du reinspucken.
O : Ach Meme … Deine Zeit …
M : Oma, mach Dir keine Gedanken. Ich komm gerne und will auch nach Dir gucken.
O : (Hustet)
Meme hält ihr die Tüte unter den Mund. Oma spuckt ein Stückchen Apfel hinein.
O : Danke. Watt trinken.
Meme reicht ihr eine Tasse.
O : Watt isn ditte? Haarwasser?
M : Haarwasser? Das ist Wasser.
O : (Hustet) Also Meme. Wenn ick diese Nacht verbringe, dann ster… dann leb ick noch! (Hustet mehrfach) Hach … Ick könnte die Krankheit zum Fenster rausschmeißen und die Fische damit füttern.
M : Fische füttern?
O : Watt essen, Meme. Bitte.
Meme schiebt ihr den nächsten Happen in den Mund.
O : Kuchen? Haste jebacken?
M : Nee. (Lacht) Der is vom Heim.
O : (Hustet)
M : Nicht dass Du Dich verschluckst.
O : Ach Meme, ick hätt nie jedacht, datt ick mal so krank sein werde.
M : Ja Omchen, Du bist jetzt alt. Uralt.
Meme schaut in die Tüte.
O : Hab ick reinjespuckt, wa.
M : Ja, ein paar Äpfel.
O : Nur noch Sauerei mit mir. Aber ick hab nich dit Jefühl, datt ick sterbe. Ick hab dit Jefühl, ick bin uff’m Weje der Besserung, obwohl ick ja nich spüre, datt ick jesund werde. Aber … (hustet) Watt is’n dit hier?
M : Deine neue Hose?
O : (Erfreut) Ja? Ist die schön?
M : Sie ist bequem und hat eine schöne Farbe.
O : Und sie ist ein bisschen anjerauht.
M : Innen ist sie weich.
O : Ach Gott, Meme. Dass ich auch Deine Zeit noch raube. (Hustet)
M : Da hat Dich irgendein blöder Husten erwischt. Dabei kriegst Du doch nie Husten.
O : Ich hätte auch nicht gedacht, dass ich so lahm sein kann.
M : Ich geb Dir mal die Decke.
O : Schön. (Hustet)
M : Willste ausspucken?
O : Ja. (Spuckt) Ist das Krankenhaus hier voll?
M : Du würdest sicher einen Platz kriegen. Aber ich weiß nicht, ob es irgendwas hilft. Und im Krankenhaus ist es viel nervöser. Da sind mehr Leute und es piept, und dann hat man noch jemanden mit auf dem Zimmer. Eigentlich bist Du hier gut aufgehoben. Und es kommt auch eine Ärztin hier her. Und Herr H, der Hausarzt vom Heim, kommt auch nochmal.
O : Kennste den schon?
M : Noch nicht gut. Ich hab ihn einmal getroffen und zweimal mit ihm telefoniert. Aber ich finde ihn besser als Deinen letzten Arzt.
O : Watt war’n ditt für eena?
M : Das war so ein Ulps, der nur immer in seinen Computer geguckt hat.
O : Ach so. Der Knallkopp.
M : (Lacht) Ja.
O : Aber ick hab nicht datt Jefühl, datt ick sterbe.
M : Ich weiß auch nicht, ob man das spürt. Obwohl … das würde man wahrscheinlich schon spüren …
O : Ich hab auch nicht das Gefühl, dass meine Kräfte nun achtzig Prozent abnehmen täglich. Nee.
M : Nee?
O : Nee. So fülle nich. Aber Meme. Dass ich so durchhänge … hm … Und vor allem, dass ich Dich beschäftige.
M : Mach Dir mal keine Sorgen darum, Oma. Das ist völlig in Ordnung.
O : Das sagst Du so.
M : Das ist wirklich so. Und ich bin auch nicht jeden Tag hier. Ich bin zweimal die Woche hier. Das ist gar nicht so viel.
O : Ach danke.
M : Und wie schmeckt es?
O : Och, schmecken tut jut, bloß ick bin schon wieder satt.
M : Naja, kann man ja später noch weiteressen.
Oma kaut und spuckt dann ein Stück Apfel einfach seitlich aus. Zufällig trifft es die Tüte.
M : Oh! Du hast die Tüte getroffen! (Lacht)
O : Na Mann! Weltmeister! Dabei hab ick ja nicht gezielt.
M : Aber getroffen. Kuck! (Hält ihr die Tüte hin)
O : Ach Meme. Ick wer’ dies Jahr neunzig, ne?
M : Nee, Du wirst schon zweiundneunzig.
O : Wenn ich sterbe, ist alles schon erledigt? In trocknen Tüchern?
M : Ja. Soll ich die Tasse halten?
O : Danke, geht schon. Ach Mensch. Ich bin mit allem so unsicher, Pinkelei und Kackerei und überhaupt. Krankheit soll zum Fenster rausjehn in’n Julli.
M : Aber Kaffee schmeckt.
O : Der macht mich munter. Bisschen. Sag mal. Was hab ich wirklich?
M : Du hast Dir einen Husten eingefangen. Und ansonsten bist Du altersschwach.
O : Sind die Organe gesund?
M : Das weiß ich nicht. Das haben wir alles gar nicht untersuchen lassen. Dafür müsste man in ein Krankenhaus gehen. Aber ich weiß nicht, ob Du das willst. Und ich hab das bisher abgelehnt.
O : Wollten die mich nehmen?
M : Der Arzt hat mich gefragt, ob Du in ein Krankenhaus kommen solltest. Da hab ich erstmal gesagt nee, und ich frag Dich nochmal.
O : Ja.
M : Und dann haben wir vor ner Woche oder so drüber geredet und Du hast gesagt: (macht Omas Tonfall nach) Krankenhaus, watt soll ick’n da? Da stirbt man ja bloß.
O : Ja. Ick will ja noch nicht sterben.
M : Ich weiß. Ich glaub, da bist Du hier besser aufgehoben.
O : Na, ich kann auch hier sterben. Bett is ja lang und breit jenuch … Aber so’n Topp Kaffe macht munter.
M : Ich merk schon. Du siehst gleich fünf Jahre jünger aus.
O : Ach, danke. Steck Dich nicht an, Memchen.
M : Nee. Ich hab ’ne Maske auf. Und ich werd mir auch gleich nochmal die Hände desinfizieren.
O : Nun nehm ich auch Dich noch in Anspruch. Ich weiß ja, dass Du noch studierst.
M : Oma, ist kein Problem. Ich komm Dich gern besuchen. Selbst wenn es Dir schlecht geht. Musst Dir keine Sorgen machen.
O : Ach Dankeschön für die Worte. Das ist wie Musik.
M : (Kichert) Hm Hm.
O : Na, wenn man so nett ist zur Oma. Und ich bin jetzt wie alt? Neunzig, nicht?
M : Einundneunzig.
O : Und wenn ick nu in die Kiste hopse, dann komm ick zu Mama.
M : Ja.
O : Aber ick hops noch nicht.
M : Ich weiß. Du siehst auch noch nicht so aus.
O : Müsst ick noch üben.
M : Hopsen.
O : Nee, mach ick nicht. Viel zu unbequem. Die beste Krankheit doocht zu nüscht. Jetzt muss ich erstmal gesund werden. Sach mal, wie lange kann’t noch dauern?
M : Am besten wäre, Du wirst schnell gesund. Innerhalb der nächsten Woche.
O : Ich glaube nicht, dass ich so schnell gesund werde. Irgendwas sitzt noch in den Knochen. Naja, wir werden sehen. Ich bin ja auch schon so alt.
M : Man kann schon noch älter werden.
O : Jetzt hab ich gar keine Lust mehr, so alt zu werden. Dabei wollte ich immer alt werden.
M : Hundertfünf wolltest Du immer werden. (Macht wieder Omas Ton nach) Denn hundert wird ja jeder.
O : Aber ich schaff auch nicht mehr hundert. Müde bin ich auch immerzu. Werde wach und könnt gleich weiterschlafen.
M : Das ist so, wenn man krank ist. Und auch bei alten Leuten ist das so.
O : Und Du bist gesund? Und T auch?
M : Ja, wir sind gesund.
O : Uff alle vier Backen?
M : Ja.
O : Datt ihr euch bloß von hier nicht noch watt ansteckt. Müsst ihr hier getestet werden?
M : Ja.
O : Und kostet ditt watt?
M : Nee. Das macht die Bundeswehr. Unten ist ein Soldat, der testet die Leute.
O : Schnelltest ja?
M : Ja. Dauert ’ne Viertelstunde.
O : Und war alles gesund, ja?
M : Ja. Sonst hätten sie mich unten gar nicht reingelassen.
O : (Hustet) Na dann is ja man jut.