Sterbepillen
O : Altwerden ist nichts. Und so schnell werde ich ja gar nicht sterben …
M : Ja, das glaube ich auch.
O : Wenn man Sterbepillen vergeben würde, das wäre doch viel einfacher. Aus welchem Grund muss ich nun vielleicht bis hundert warten, bis ich die Augen zu mache? Es kann ja gar nicht mehr besser werden, es kann nur schlechter werden. Allerdings staune ich immer, dass ich gar keine Beschwerden habe, so wie andere, mit dem Magen und mit dem Darm und was nicht alles.
M : Das mit den Beinen ist Beschwerde genug, Oma. So schlecht laufen zu können ist auch richtig blöd. Aber ich denke, mit nem Rollstuhl kriegen wir Dich auch noch durch die Gegend geschippert.
O : Ich will aber laufen. Ich will, ich will.
M : OK. Umso besser.
O : Hier in der Wohnung nehme ich ja immer den Rolls Royce. Damit ich nicht hinfalle. Und ich bin auch noch nicht gefallen.
M : Hast Du den Pieper um?
O : Ja. Hier ist er. Den nehme ich gar nicht ab. Damit ich ihn nicht verliere.
M : Sehr gut.
O : Ach Gott, Memchen. Dass es mir im Alter mal so mies gehen würde, hätte ich nie geglaubt.
M : Ja, Du wirst jetzt so langsam richtig alt, Oma.
O : Und ich hab gedacht, ich werde immer jünger. Aber ich mach mir noch nicht in die Hosen!
M : Mit der Wassertablette wird das jetzt wahrscheinlich passieren.
O : Jaja, ist auch schon passiert.
M : Aber es sind nur sieben Tage.
O : Mehr nicht?
M : Nee, das ist eine Kur. Nur sieben Tage diese Pinkelei. Das wird anstrengend und es wird Dich nerven. Die Ärztin hat gesagt, wir machen das nicht für immer, wir machen erstmal nur sieben Tage.
O : Damit die Beine dünner werden.
M : Ja. Mal gucken, ob es hilft.
O : Und wieviel Tage mach ich das? Zwei?
M : Sieben. Eine Woche.
O : Jetzt hab ich zwei.
M : Das ist ja schon ein paar Tage her. Und wir machen nochmal sieben Tage am Stück. Das müssen wir machen. Das wird sonst nichts mehr mit den Beinen.
O : Die kann ich ja nicht abschrauben und neue ranmachen.
M : Nee. Die müssen ein bisschen dünner werden. Damit Du weiter aufstehen kannst. Das fällt Dir schon jetzt schwer.
O : Was fällt mir schwer?
M : Aufstehen. Und Laufen.
O : Und Meckern. (Miemt Meckerton) Das fällt mir auch schwer.
M : (Miemt auch Meckerton) Das ist mir noch nicht aufgefallen.
O : (Wieder ernst) Sag mal, mecker ich zu viel?
M : Nein. Du bist eigentlich ganz verträglich.
O : Naja Memchen. So ist das alles. Sag mal, was machst Du im Alter?
M : Ich werd mir vorher eine Sterbepille besorgen.
O : Gibt es eine Sterbepille?
M : Nicht frei verfügbar. Muss man sich drum kümmern.
O : Für mich oder für Dich?
M : Für mich. Viele Leute in meinem Alter denken so.
O : Ich denke auch so.
M : Das Problem ist, dass ich sie Dir nicht besorgen kann. Sonst mach ich mich strafbar.
O : Ja, ich weiß. Und aus dem Fenster hopsen kann ich auch nicht mehr.
M : (Scherzhaft drohend) Wehe! Und schon gar nicht aus dem zweiten Stock. Da landest Du im Gebüsch und brichst Dir nur die Hüfte.
O : (Lacht) Mach ich auch noch nicht. Außerdem hab ich hier keinen Beton vor der Nase, sondern Erde. Ich hab nämlich schon gekiekt, ob man das machen kann und dachte: Nee, das geht nicht. Und hinten zum Balkon raus geht auch nicht. Man müsste schon mit dem Fahrstuhl in den zehnten fahren. Aber da komm ich ja gar nicht mehr über die Fensterbank.
M : Eben Omchen. Das kriegen wir auch bequemer hin mit dem Lebensabend.
O : Und außerdem ist es ja nicht so, dass ich sterben will. Ich will ja leben! Telefonieren und Besuch haben …
M : Und ich will auch, dass es Dir gut geht und dass Du nicht sterben willst. Ich mach uns jetzt mal ne Stulle.
O : Au ja. Mach mir man auch eine.